Heide Göttner-Abendroth, Matriarchale Landschaftsmythologie. Von der Ostsee bis Süddeutschland, S. 116 f
Nun ist dies nicht das einzige Gralstal (gemeint ist das Kult-Tal von Arlesheim), es gibt noch andere, doch sind sie landschaftsmythologisch kaum erforscht. Ein zweites wurde im Bayerischen Wald entdeckt, das eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem von Arlesheim aufweist. Im Osten, wo es beginnt, liegt auf einem Kulthügel die Kirche St. Brigida von Preying. Danach führt ein Pfad zum Eingang des Tales, wo man diesmal am spitzen Ende beginnt, und das Tälchen heißt in einer alten Schreibweise "Auggenthal" (Flurname). Diese "Auggen" liegen als drei (teils verlandete) Weiher in dem steil abfallenden, sich rasch verbreiternden Tal, das heute gänzlich von Wald überwachsen ist, aber noch die Form eines Lilienkelches zeigt. Auf dem das Tal abschließenden Hügel liegt die bestens erhaltene "Saldenburg", genau in Ost-West-Richtung zum Hügel von St. Brigida. Das bayerische Kult-Tal besitzt damit dieselbe landschaftsmythologische Gestaltung wie das Gralstal bei Arlesheim, abgesehen von der Vertauschung der Öffnung des "Lilienkelches".
Damit gewinnt Odiliens Augen-Kelch eine zusätzliche Bedeutung. Es ist ein Landschaftssymbol für ihr Kult-Tal, das selbst den "Kelch" darstellt mit den drei Weihern als "Augen" darin. Ebenso wurde klar, welche Göttin von der stark verchristlichen Odilie verdeckt wurde: die keltische Hochgöttin Brighde, "the bright", die als St. Brigid ebenfalls verchristlicht wurde. Sie reicht weit vor die keltische Zeit zurück, denn sie ist die matriarchale Weiße Göttin als Göttin des Lichts. In ihren Mythen besitzt sie einen heiligen Kessel, den "Kessel der Inspiration", der Dichter und Sänger macht und aus dem alle Erkenntnis kommt, er ist das Vorbild des späteren "Augen-Kelches" oder "Grals". (Fußnote) In diesem Zusammenhang ist sehr aufschlußreich, dass der Heiligentag der späteren Odilie der 13. Dezember ist, der Tag der Lucia, einer früheren Lichtbringerin. Die Zeit der Feiern der Lichtwiederkehr im Winter reicht vom 13. Dezember bis zum 2. Februar, dem Fest der Göttin Brigid, das diese Feiern abschließt.