Als Kolumbus 1492 Amerika entdeckte, brach über die indianischen Völker das Schicksal in Form von Versklavung, Krankheit, Kulturzerstörung und Völkermord größten Ausmaßes herein, Greuel, die noch heute nicht beendet sind. Nach seiner ersten Reise über den Atlantik landete er auf den Bahamas, besuchte zugleich das nördliche Kuba und das nördliche Haiti. Die ersten Indianer, die er fand, waren die Arawak (Aruak), die damals auf den Inseln der Großen und Kleinen Antillen lebten. Nach seiner Abreise zerstörten sie sein Fort. Auf seiner zweiten Reise (1493/96) entdeckte Kolumbus alle Inseln der Großen Antillen, etablierte die feste Siedlung Isabela auf Haiti und "pazifizierte" die Indianer, indem er sie tributpflichtig machte. Alle drei Monate sollten sie eine bestimmte Menge Gold abliefern. Bei seiner dritten Reise (1500) setzte er einen spanischen Gouverneur über Haiti ein, und das Tributsystem wurde über die ganze Insel ausgedehnt. Aber die Indianer waren nicht in der Lage, den Tributforderungen nachzukommen, deshalb wurden Goldminen gebaut, die männliche Bevölkerung unter die Kolonialherren aufgeteilt und zur Sklavenarbeit in den Goldminen oder den Plantagen gezwungen. Das geschah nach Meinung der Spanier zum Wohl der Indianer. Sie durften nun Spanisch lernen und das Christentum annehmen. Jedoch verhungerten die Arawak bei der Sklavenarbeit oder begingen Selbstmord. Mütter töteten ihre Kinder, um ihnen das Los der Erwachsenen zu ersparen. Schwarze Pocken grassierten und dezimierten die Bevölkerung, so daß schon 1535 von sechs Millionen Indianern (Schätzung) nur noch 500 auf der ganzen Insel übrigblieben.
Nun wurden Arawak von anderen Inseln des Karibischen Meeres importiert, aus Puerto Rico und Jamaika, und damit ereilte sie dasselbe Schicksal. Zugleich begann der Handel mit schwarzen Sklaven aus Afrika, weil sich die Indianer als "arbeitsuntauglich" erwiesen. Als sich die Indianer gegen diese Behandlung wehrten und rebellierten, wurde ihre Aufstände schnell und äußerst brutal niedergeschlagen, die Gefangenen grausam massakriert. Zwischen 1540 und 1550 waren die Goldminen auf Haiti erschöpft, die umliegenden Inseln boten ebenfalls nicht viel von diesem Metall. Da wandten sich die Spanier den sagenhaften Goldländern Peru und Mexiko zu und leiteten dort denselben zerstörerischen Prozeß ein. In Haiti wurde das Sklavensystem aufgehoben, aber niemand hatte mehr etwas davon. Denn als Francis Drake 1585 Haiti besuchte, gab es dort keinen einzigen Indianer mehr
... Die Geschichte der Arawak-Indianer führt uns weit in die Anfänge der Besiedlung Amerikas durch Ackerbaukulturen zurück, sie sind ein uraltes, geheimnisvolles Volk ... Ihre materielle Kultur hat sich durch ihre verschiedenen geographischen Lebensbedingungen sehr verschieden entwickelt, ihre gemeinsame Sprache und ihre besonderen sozialen und religiösen Muster verbinden sie jedoch. Sie sind matrilinear und matrilokal organisiert, leben also in matriarchalen Clans. Gewisse Einzelzüge wie Matrilinearität bei benachbarten Stämmen reichen bis nach Südbrasilien und Argentinien zurück (Ge, Bororo) und gehen auf die Arawak zurück. Sie glauben an eine Urgöttin Mamona, Erdgöttin und Mutter des Himmelsgottes, die von ihrem Bruder an ihrer Seite beschützt wird. Häufig gibt es nicht einmal diesen Himmelsgott, sondern die Mondgöttin als zweite Urgöttin. Ihre Kultur weist rings um die Karibik (Zirkumkaribische Kultur) verblüffende Ähnlichkeit mit den alten Ackerbaukulturen der Vor-Inka-Zeit in den Anden auf (Chibcha in Kolumbien, Tiahuanaca in Bolivien, 550 nach u.Z.). Diese gehen ihrerseits auf die noch ältere Chavin-Kultur in den Anden zurück (1000 vor u.Z.). Diese wiederum hat eine uralte Vorläuferin an der Pazifikküste Kolumbien: Valdivia-Chorrera, die älteste Ackerbaukultur auf dem Boden ganz Amerikas überhaupt (ab 5000 vor u.Z.). Wo kam diese her und, und in welch große historische Tiefe reicht die Arawak-Tradition mit ihrem Erdmutter-Glauben und ihren matriarchalen Clans zurück?
Wir werden uns diesen Fragen an späterer Stelle wieder zuwenden, hier verfolgen wir zuerst die Linie der jüngeren, nachkolumbischen Geschichte der Arawak. In ihrem weiten Verbreitungsgebiet auf dem südamerikanischen Kontinent, in welchem die spanischen Eroberer sie nach der Vernichtung der Antillen-Arawak antrafen, ereilte sie überall dasselbe Schicksal: Ganze Stämme brachen im Kampf ums Überleben gegen Ausbeutung, Krankheiten und Krieg zusammen. Durch den permanenten Genozid wurde sie entlang der Küsten und der großen Wasserwege sehr schnell ausgelöscht oder absorbiert. Selbst versteckte Völker erlitten bereits vor jedem Kontakt mit den Weißen durch Flucht und Krankheit Schaden. Dabei ist es gleichgültig, ob sie als Eroberer, Kolonialherren, Missionare oder Siedler kamen, denn die Wirkungen blieben dieselben. So waren Missionsstationen oft der erste Kontakt, aber durch sie wurden Seuchen eingeschleppt, ganz zu schweigen von der Kulturzerstörung durch aufgezwungene christliche Werte. Diejenigen, die bei den Missionsstationen blieben, starben zuerst aus, während ihre widerspenstigen Stammesgenossen sich in den Urwald zurückzogen und zu ihrer alten Lebensweise zurückkehrten. Doch hier, in unwirtliche Gebiete des Kontinents vertrieben und von ihren anderen Stammesvölkern getrennt, konnten sie die Höhe ihrer Kultur, die sie einst besessen hatten über welche die Archäologie beredtes Zeugnis abgibt, nicht halten. Krasse Dekulturation war die Folge. Sie sanken auf die Stufe einfachster Urwald-Kultur zurück, wie die Campa, oder überlebten als Sekundär-Viehzüchter in glühender Wüste, wie die Goajiro auf der Halbinsel Guajira am Golf von Maracaibo (Kolumbien)
... Die Goajiro sind matrilinear und bilden etwa 30 große Clans, je mit einem Tier als Erkennungszeichen, und mit eigenem Territorium. Jeder Clan wird von der ältesten Frau, der Sippenmutter oder Matriarchin zusammengehalten. Ihr ältester Bruder ist der Vertreter des Clans nach außen und genießt großes Ansehen. Aus diesen männlichen Sippenvertretern wird der Dorfhäuptling gewählt, und die Wahl fällt immer auf den Wohlhabendsten. Dieser muß sich dann für sein ganzes Dorf verausgaben, denn er ist verpflichtet, mit seinem Clanvermögen allen anderen Schutz zu geben. Dadurch sinkt sein Reichtum bzw. der seines Clans beträchtlich, und bald wird der nächste wohlhabende Mann mit denselben Pflichten zum Häuptling gewählt. Mit dieser intelligenten Methode werden die Güter in Umlauf gehalten, und es kann nicht zu einer Güterhäufung bei einigen wenigen kommen, der allgemeine Lebensstandard gleicht sich immer wieder aus. Obendrein haben diese Häuptlinge keiner Befehlsgewalt, sondern nur Vertretungsbefugnis. Mit der Verausgabung ihrer Güter gewinnen sie bzw. ihre Clans nichts außer "Ehre". Dieses Ansehen bewirkt jedoch, daß sie in Notzeiten von den anderen nicht im Stich gelassen werden.
Der Lebenslauf der einzelnen ist untrennbar mit der Sippe verbunden, denn die Sippe, repräsentiert durch die Clanmutter, schützt ihre Angehörigen. Diese vergelten es dadurch, daß sie alles zur Verteidigung und Stärkung ihrer Sippe tun. Die wirtschaftliche Basis jeder Sippe ist das Vieh, es ist Gemeinschaftsbesitz und wird gemeinschaftlich betreut. Die Männer weiden und tränken die Herden, die Frauen melken, stellen Käse her und bereiten das Fleisch zu. Viehdiebstahl ist ein ebenso großes Verbrechen wie die Vergewaltigung einer Frau, beides wird mit der strengsten Strafe geahndet, denn dadurch ist die Ehre einer ganzen Sippe beleidigt worden.
Heide Göttner-Abendroth, Das Matriarchat II,2. Stammesgesellschaften in Amerika, Indien, Afrika
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