Im 17. Jahrhundert nahm der Hexenwahn eine neue ideologische Wende. Die Motive der Ketzer- und Judenverfolgungen wurden systematisch in den Hexenwahn integriert. Die Dämonologen des 17. Jahrhunderts leiteten das "Hexenwesen" von Ketzern und Juden her und gingen gegen "Hexen" und "Teufel" nach dem Vorbild der Ketzerprozesse in Südfrankreich im 13. Jahrhundert und entsprechend der Verfolgungsmethoden gegen die Juden vor. Die Inquisitoren deuteten den "Hexenkult" nun als Perversion der christliche Messe.
Diese Ideologie löschte die Erinnerung an vorchristliche Kulte aus. Vergessen war das "Heidentum", das die Kirche in Europa vorgefunden hatte. Die geschichtliche Wirklichkeit wurde umgekehrt, als habe sich das Heidentum aus dem Christentum erst entwickelt und kämpfe nun mit Widersachern und Teufelsanbetern gegen eine "von Anfang an" bestehende Kirche.
Die Inquisition spricht - anknüpfend an den Vorwurf der "Synagoga Satanae" - vom "Hexensabbat". Sie unterstellt, die regelmäßigen Hexenzusammenkünfte hätten am wöchentlichen Feiertag der Juden stattgefunden. So suchen Männer ihren Frauenhaß, ihre uralte Abwehr gegen die menstruierende, gebärende, ihnen so fremde Frau, rational zu begründen. Ihr Widerwillen gegen weibliche Lebenszusammenhänge wird mit dem Haß auf jüdische Glaubensgemeinschaften verschmolzen und findet im Kampf gegen den "Hexensabbat" eine oberflächliche Begründung. Dabei haben die Theologen vergessen, daß der Sabbat bis weit ins 4. Jahrhundert u.Z. der gemeinsame Feiertag von Juden und Christen gewesen ist.
Auch der Vorwurf, der "Hexensabbat" würde auf Höhen und auf Bergen begangen, resultiert unmittelbar aus der Verschiebung des christlichen Judenhasses auf die Frauen; spricht doch die hebräische Bibel von Kultstätten "auf allen Bergen und unter allen grünen Bäumen". Christliche Theologen werfen den Juden vor, sie hätten die Kulte auf den Bergen nicht abgeschafft, das Volk Israel habe sich niemals völlig Gott zugewandt, sondern stets auf den Höhen "andere Götter" angebetet.
Auch in Europa lagen die matriarchalen Kultstätten auf den Höhen und Bergen. In der Sprache der mittelalterlichen Dämonologen wurden sie "Hexentanzplätze" genannt. Diese Vorstellung wirkt bis auf den heutigen Tag. Jedes Gebirge kennt einen geheimnisvoll schauerlichen Ort, dessen Name an die "Zeit der Verzweiflung" erinnert.
Kultische Tänze sind schon aus dem alten Ägypten überliefert. Das Hohelied der Bibel weiß vom Tanz der Kultpriesterin. Tanz begleitet die kultischen Feste im antiken Griechenland. Tanz ist Bestandteil der römischen Saturnalien. Die Kirche hat ihren Gläubigen das Tanzen untersagt. Als "Hexentanz" wurde jede Freude an tänzerischer Bewegung dämonisiert. Und dennoch hat im Karneval kultisches Brauchtum überlebt - auch der Tanz.
Läßt sich die Vorstellung vielschichtiger Rituale, welche die "Hexen und Teufel" auf den Bergen mit Tanz, Gelage und sexuellen Orgien begangen haben sollen, als Perversion überlieferter matriarchaler Religionen begreifen, so bekommt der angebliche Teufelskult mit dem Begriff "Hexensabbat" den Charakter antichristlicher Machenschaften
... Kirchliche liturgische Handlungen finden Eingang in die Teufelsphantasien. Der Teufelskult wird nun allgemein als Perversion der christlichen Messe interpretiert. Die Phantasie wird nicht mehr auf den "Hexenkult" als Gegenbild zum Göttinnenkult gerichtet, sondern auf den "Hexensabbat", mit dem die christliche Messe verteufelt wird. Damit wird die Erinnerung an die einstigen Frauenkulte ausgelöscht. Sie sind noch nicht einmal mehr in pervertierter Gestalt greifbar.
Gerda Weiler, Ich brauche die Göttin. Zur Kulturgeschichte eines Symbols