Der wirkliche Ursprung des Hexagramms liegt im tantrischen Hinduismus, bei dem es für die Vereinigung der Geschlechter stand. ((Anmerkung: Das Symbol des Dreiecks ist noch älter, siehe dazu beispielsweise Marija Gimbutas)
Aus dem tantrischen Hexagramm der beiden Geschlechter entstand eine jüdische Glaubensrichtung, in der die Sexualität verehrt wurde. Diese Strömung war sowohl mit der mittelalterlichen Kabbala verknüpft als auch mit jener rabbinischen Überlieferung, nach der "in der Bundeslade nebst den Gesetzestafeln ein Bild gelegen sein (soll), das einen Mann und ein Weib in inniger Umarmung, in Hexagrammform zeigte."
Die Juden des maurischen Spanien entwickelten die Kabbala in der Zeit nach den Kreuzzügen, durch die sie die Verehrung der Großen Göttin in den östlichen Kulturen kennengelernt hatten. Für die Kabbalisten hatte das Hexagramm die gleiche Bedeutung wie für die tantrischen Yogis. Es repräsentierte die Vereinigung Gottes mit seiner weiblichen Kraft Schechina, der jüdischen Version der Shakti-Kali. So wie Shakti die Seelensubstanz jedes hinduistischen Gottes bildete, war Schechina die Seelensubstanz des kabbalistischen Gottes. Wie alle Religionen, bei denen die Heilige Hochzeit im Mittelpunkt stand, sah auch das kabbalistische Judentum Mann und Frau als irdische Ebenbilder des Gottes und der Göttin an.
Deshalb galt der Geschlechtsverkehr als "ein sakramentaler Akt zur Huldigung eines Gottes und seiner Gemahlin (oder vielleicht andersherum: einer Göttin und ihres Gemahls). Fußnote
Das Buch Zohar setzte Schechina mit Thora, dem "Gesetz" gleich. Ebenso entsprach die älteste gnostische Große Göttin ihrer eigenen jungfräulichen Verkörperung Maat, dem "Gesetz" oder der "Wahrheit". Ein Mann, der nach mystischer Weisheit strebte, mußte "Bräutigam der Thora" werden, weil das Gesetz in einer Jungfrau verkörpert war. Ihr ähnelte die erleuchtete Geliebte der zeitgenössischen Minnelyrik, deren Verehrung ebenfalls von der Großen Göttin des Ostens inspiriert war ...
Das Hexagramm stand für die vollständige Vereinigung des Erleuchteten mit Schechina-Thora. Daß das Hexagramm als "Siegel Salomos" mit Salomo in Verbindung gebracht wurde, entsprang wahrscheinlich der verbreiteten Vorstellung von dem durch eine Heilige Hochzeit erleuchteten Salomo, worauf die erotische Dichtung des Hohelieds Salomo in der Bibel hinweist.
In: Das geheime Wissen der Frauen. Ein Lexikon von Barbara G. Walker, Deutscher Taschenbuch Verlag