Sonntag, 8. Juni 2014

Landschaftsymythologie - Die schwarze Frau in Vietnam

Landschaftsmythologische Beispiele
1. Die Schwarze Frau in Vietnam






... Im Süden von Vietnam im Delta des Mekong entdecken wir einen heiligen Berg, den Ba Den. Dieser Ausdruck bedeutet wortwörtlich 'Schwarze Frau', und der Berg wird als heilige Landschaftsahnin der Region verehrt. Die kulturellen Wurzeln reichen in dieser Region bis zu den indigenen Cham-Völkern, die bis heute teilweise matriarchal organisiert sind, und von denen die Heiligkeit des Göttinberges stammt. In einem Patriarchalisierungsprozeß wurde der Ahninberg von den buddhistischen Mönchen besetzt, wobei die schwarze Ahnfrau der unterdrückten Cham zu einer buddhistischen Muttergöttin transformiert wurde, die in ihrer Darstellung ein schwarzes Gesicht zeigt.
In Mittel-Vietnam finden wir unsere Schwarze Frau wieder. Dort ist ihr in der Hafenstadt Nha Trang ein Kulthügel geweiht, der heute ein Tempelbezirk ist. Die Ahnfrau wird manchmal als Ba Den oder auch als Po Ino Nagar angerufen, wobei besonders das Wort 'Nagar' auf ein Tiersymbol der schwarzen Landschaftsahnin hinweist, denn dieses bedeutet 'Schlange' oder 'Drache' - das klassische Unterweltstier der Erd- und Meeresgöttin.







Po Nagar oder Ba Den werden zwar beim Tempelbezirk verehrt, jedoch ist sie von dort aus direkt als Landschaftsahnin zu erkennen. Auf die Frage nach der 'liegenden Himmelsfrau' gaben uns buddhistische Mönche im Tempelbezirk die Antwort, dass diese nicht existiere und hier völlig unbekannt sei , wir sollten doch eher in den Tempel gehen und beten. Durch unsere Hartnäckigkeit gelangten wir schließlich zu einem invaliden Bettler, der beim Tempel sein Leben fristete und uns mit Freude einen Hügel zeigte, der gut erkennbar dem Körper einer liegenden Frau gleicht - die Meeresgöttin Po Nagar oder Ba Den der Stadt. Und auch diese Po Nagar in Mittelvietnam stammt ursprünglich von den matriarchalen Cham-Völkern.
Die Cham selbst wie die Fu-Nan-Leute im Mekong-Delta sind austro-asiatischer Herkunft. Die Fu-Nan werden im 1. Jahrhundert von chinesischen Reisenden als dunkelhäutig und kraushaarig beschrieben, zudem seien sie 'unbekleidet'. Sie verehrten Steine (Menhire) als Ahninnen und Ahnen und waren geschickte Ackerbauern. Ein Schlangenkult (Naga) und Totemismus sind bezeugt, ebenso eine Naga-Königin Liu Yeh, die von einem indischen Brahmanen besiegt und geheiratet wurde, worauf er eine Dynastie gründete. Der Bericht beschreibt uns die Indisierung und Patriarchalisierung der Fu-Nan und ihrer Königin. Durch die indischen Brahmanen wurde aus dem alten Adel der Fu-Nan und der Cham ein Gottkönigtum mit einer Herrschaftsdynastie, zudem wurde das Kastensystem, indische Götter und die Witwenverbrennung eingeführt. Dennoch blieb das Volk noch lange seinen matriarchalen Traditionen treu, und der Brahmanismus spielt hier keine bedeutende Rolle. Im Süden Vietnams lassen sich heute noch Gehöfte der Cham entdecken. Sie sind von Zäunen oder Wällen umschlossen, und die Häuser der Töchter gruppieren sich um das Haus der Mutter. Die Männer ziehen in das Haus der Frau. Zu einem Gehöft gehören Küchen- und Vorratshäuser und das Haus mit Reisscheuer, Hochzeitszimmer und dem Wohnraum für die Sippe der jüngsten Tochter.








Zur vorbuddhistischen und vorhinduistischen Naturverehrung der Cham gehören die Ahnensteine, der Naga-Schlangenkult sowie totemistische und schamanistische Praktiken. Ebenso die Verehrung heiliger Hügel und Berge, der Schwarzen Frau und der Po Nagar. Diese ist Erd- und Muttergöttin, die Grosse Ahnfrau des Landes, die auch als Uroja erscheint. Der Name 'Uroja' bedeutet wortwörtlich 'Mutterbrust', ein Motiv, das immer wieder im Schmuck und Dekor vorkommt. Uroja bzw. Po Nagar ist die Erschafferin der Welt und erscheint selbst in Gestalt einer Naga-Schlange. Sie ist auch Reisgöttin sowie Schutzgöttin der Stadt Nha Trang, dazu gebietet sie über alle Berggipel und Hochplateaus der Region.
Die Brahmanen versuchten, sie zu hinduisieren, indem sie die matriarchale Göttin unterordneten und zu einer Uma, der Shakti Shivas, oder zu einer Durga, d.h. zu einer Muk Juk (Schwarze Herrin) machten. Dennoch blieb die Mythologie der Uroja und der Po Nagar erhalten.
Die Schwarze Frau - Uroja, Ba Den oder Po Nagar - wird in Vietnam aber nicht nur als Berg oder in der Analogie als weiblicher Körperhügel verehrt, sondern auch in einer Höhle als schwarzer Stein. Wir finden einen dieser Kultsteine ca. 50 km südlich von Hanoi in der Parfüm-Pagode, die sich bezeichnenderweise in der Landschaft des Weißen, Roten und Schwarzen Flusses befindet. Hier haben die buddhistischen Tempel-Mönche keine Ahnung von der örtlichen Mythologie oder überdecken diese mit zusammenhanglosen Feengeschichten. Einheimische und wiederum 'einfache Leute' aus dem Volk berichteten uns, dass in der Höhle ein schwarzer Stein zu finden ist, außerdem zwei herabhängende Stalaktiten mit folgenden Bezeichnungen: 'Milchbrust der Mutter' (auch 'Schoß der Mutter') und 'Mutterbruder'. Somit verkörpern diese beiden Stalaktiten und der schwarze Stein die einstige matriarchale Ahnin der Region und ihren männlichen Partner, den Onkel mütterlicherseits. Gesellschaftsordnung und Weltbild sowie Kultur und Natur verschmelzen hier völlig, zudem werden die Prinzipien der matriarchalen Mythologie gleichsam in Stein fassbar.










Kurt Derungs in: Heide Göttner-Abendroth (Hrsg.), Gesellschaft in Balance. Dokumentation des 1. Weltkongresses für Matriarchatsforschung 2003 in Luxemburg










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